Die traditionelle “neoklassische Volkswirtschaftslehre” lebt von der Idee, der Mensch fälle seine Entscheidungen rational und eigennützig. Darauf ruht zum Beispiel Adam Smith Theorie der “unsichtbaren Hand“. Er war – grob gesagt – der Ansicht, dass es dem Wohl der Gesellschaft dient, wenn die Einzelnen nach rationalen und eigennützigen Kriterien handeln. Das ist der berühmte “Homo oeconomicus”. Die Verhaltensökonomie stellt dieses Bild grundsätzlich in Frage.
Gefühle leiten uns
Dieses etwas schiefe Bild des Menschen war über lange Zeit eine Schwachstelle der Ökonomie. Wir sind keine rationalen Selbstoptimierer – Gefühle zum Beispiel spielen für uns eine große Rolle: Liebe, Gier, Eifersucht, Trauer. Außerdem tragen wir ein langes evolutionäres Erbe in uns. Das macht unsere Entscheidungen – nach klassischen Kriterien – oft irrational.
Forschungen zwischen Ökonomie und Psychologie
Die Verhaltensökonomie ist angetreten, dieses Bild gerade zu rücken und zu erforschen wie es kommt, dass wir so oft “irrational” handeln. Sie ist ein faszinierendes Stück wirtschaftswissenschaftlicher Forschung und bewegt sich gewissermaßen zwischen Ökonomie und Psychologie.
Ihre Pioniere waren die Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman. Sie stellten fest, dass wir in Entscheidungssituationen zwar oft “irrational” handeln, aber keineswegs einfach zufällig. Wichtig sind sog. “Denkabkürzungen”, bzw. Faustregeln. Tversky und Kahneman sprechen von Heuristiken, der Fähigkeit mit begrenztem Wissen und knapper Zeit zu Lösungen zu kommen.
Grundsätze der Verhaltensökonomie
- Wir sind nicht ausschließlich egoistische Selbstoptimierer. Unsere Entscheidungen werden von ethischen Faktoren beeinflusst. Was wir für (moralisch) richtig halten, spielt ein Rolle.
- Wir ticken anders, wenn Geld ins Spiel kommt. Für einen “neoklassischen Ökonomen” ist es egal, ob er ein Parfüm im Wert von 20 Euro verschenkt oder der Dame seines Herzen einen 20 Euro-Schein in die Hand drückt.
- Bei Finanzfragen neigen wir oft zu irrationalen Entscheidungen: Wir sind schlecht beim Berechnen von Wahrscheinlichkeiten. Wir sind schlechte Verlierer. Wir haben (aufgrund eines starken Besitzdenkens) eine Tendenz an Investitionen festzuhalten. Aktuelles hat für uns eine größere Bedeutung als wichtige Vorkommnisse der Vergangenheit.
- Wir sind Gewohnheitstiere. Statt eine Entscheidung objektiv zu prüfen folgen wir alten Gewohnheiten.
- Wir sind “Herdentiere”: Oft tun wir Dinge einfach, weil es alle machen, statt uns eine eigene Meinung zu bilden.
Das ist – teilweise – harter Tobak. Welche Belege gibt es dafür? Hier ein paar erstaunliche Befunde.
Die asiatische Grippe
Daniel Kahneman erhielt 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Hier ein Beispiel für seine bahnbrechenden Versuche. Gemeinsam mit seinem Kollegen Tversky stellte er Probanden vor folgende Aufgabe:
Die Vereinigten Staaten sind von einer seltenen asiatischen Krankheit bedroht. Ohne geeignete Gegenmaßnahmen ist mit 600 Todesopfern zu rechnen. Es stehen zwei Programme zur Wahl:
- Programm A wird 200 Menschen retten.
- Programm B rettet mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 alle 600 Amerikaner. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 wird niemand gerettet.
Wie würden Sie entscheiden? Über zwei Drittel der Befragten wählten das vermeintlich “sichere” Programm A. Faktisch führen jedoch beide Programme zum gleichen Ergebnis. Einer weiteren Gruppe wurden folgende “Alternativen” angeboten:
- Programm C fordert 400 Tote.
- Bei Programm D besteht eine Wahrscheinlichkeit von 1/3, dass niemand stirbt sowie eine Wahrscheinlichkeit von 2/3, dass 600 Menschen sterben werden.
Achten Sie auf die Formulierung: Bei Programm C ist nicht von den geretteten Leben die Rede, sondern von den Toten. Von den voraussichtlichen Ergebnissen sind jedoch alle Optionen identisch. Dennoch entschied sich die überwiegende Mehrheit (78%) für Version D, die ihnen sicherer erschien.
Verankerung: Wie uns der Zufall lenken kann
Mit diesen Beispielen kommt der “gesunde Menschenverstand” vielleicht noch einigermaßen zurecht. Beim folgenden sträuben sich uns allerdings die Haare: Der Verhaltensökonomen Dan Ariely bat seine Studenten, einen Teil ihrer Sozialversicherungsnummer zu notieren. Im nächsten Schritt sollten sie angeben, welchen Betrag sie für eine bestimmte Flasche Wein zahlen würden.
Das Erstaunliche: Die Studenten, die eine niedrige Nummer notiert hatten, wollten weniger zahlen als die Vergleichsgruppe. Dieses Phänomen nennen die Forscher Verankerung.
Homo Oeconomicus adé?
Die Vorstellung, dass rationale Akteure, sowie Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen, lässt sich nicht ohne weiteres damit vereinbaren. Solche und viele weitere Befunde zeigen: Den Menschen, der stets rational und eigennützig handelt, gibt es so nicht. Die Wahrheit ist vielschichtiger. Und es bleibt abzuwarten, wie es gelingt Daniel Kahneman und Adam Smith “zu versöhnen”.
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Bildquellen:
- Verhaltensökonomie: © Image licensed by Ingram Image/adpic