Wie ein Physiker die Finanzmärkte retten will (Süddeutsche)

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Gehören Bankencrashs bald der Vergangenheit an? Ein Physiker aus Wien ist angetreten, dieses Ziel zu erreichen: Sein neues System soll für Stabilität auf den Finanzmärkten sorgen, wie die Süddeutsche in ihrer Online-Ausgabe berichtet. Wir haben den Artikel für Sie gelesen.

Tobin Tax in der Kritik

Die sogenannte “Tobin Tax”, eine Finanztransaktionssteuer, die nach den bisherigen Plänen den Markt vor Crashs schützen soll, kennt Befürworter wie Kritiker gleichermaßen. Der österreichische Ökonom und Physiker Stefan Thurner gehört zu den Kritikern. Er leitet das Wiener Institut „Wissenschaft komplexer Systeme“ und ist der Ansicht, dass sein eigener Ansatz, an dem er seit über zehn Jahren forscht, vielversprechender ist.

Seine ungewöhnlichen Ideen sollen den Bankenmarkt von innen heraus stabilisieren. In Zusammenarbeit mit renommierten Kollegen aus Mexiko und Österreich hat Thurner den Interbankenhandel genau unter die Lupe genommen: Jeder Markt birgt verschiedene spezifische Risiken. Durch Wechselwirkungen im System können jedoch auch kleine Risiken große Wirkungen zeigen. „Zentral ist: Jede noch so kleine Veränderung kann Auswirkungen bis in die letzten Seitenarme des Netzwerks haben“, erläutert Thurner.

Domino-Effekte vermeiden

Um solchen Domino-Effekten von vornherein aus dem Weg zu gehen und systembedingte Risiken zu minimieren oder gleichmäßiger zu verteilen, schlägt Thurner eine neuartige Steuer vor. Der Name der Steuer ist Programm: “Systemic Risk Tax” – das heißt die Höhe der Steuer richtet sich nach der Höhe des systemischen Risikos des Marktteilnehmers.

Um die Höhe der Steuer zu ermitteln, muss im ersten Schritt von jeder einzelnen Bank ermittelt werden, welchen “Risikobeitrag” sie zum Gesamtsystem leistet: „Wir haben eine Maßzahl entwickelt, die angibt, wie hoch der Beitrag jeder Bank zum Gesamtschaden wäre, wenn der Finanzmarkt kollabiert“, so Thurner.

Wichtig sind die möglichen Wechselwirkungen. Ein Beispiel des Physikers: Eine vergleichsweise risikoarme Landesparkasse borgt sich bei einer Zockerbank Geld. Deren systemisches Risiko ist jedoch ungleich bedeutender. Das heißt, ein Großteil des Systems wäre gefährdet, falls dieser Bank etwas zustößt.

Durch den Kredit “erbt” die Kleinbank einen Teil dieses Risikos. Geht sie bankrott, könnte sie die Zockerbank mit in den Abgrund reißen  – möglicherweise zusammen mit dem ganzen Netzwerk. In dem Modell geht es also um die Verknüpfung der Risiken: “Selbst winzige Rädchen können zu systemischen Katastrophen führen.”

Hohes Risiko = hohe Steuer

Entsprechend die Steuersätze: Eine Finanztransaktion mit hohem systemischem Risiko wird hoch besteuert. Ist das Risiko geringer, fällt auch die Steuer geringer aus. Die Daten, aus denen die Risikobewertungen kommen, liegen vielen Zentralbanken heute schon vor. Funktioniert die Idee, dann schichten die Banken um: von hohen Risiken zu niedrigen Risiken. Nicht, weil sie plötzlich einsichtiger sind, sondern weil es für sie billiger ist. Dadurch würde nach Ansicht von Thurner das gesamte System stabiler.

Keine Welt ohne Risiko

Natürlich gibt es auch Kritiker der Idee: “Es gibt keine Welt ohne Risiko!”, zitiert die Süddeutsche Dorothea Schäfer, die Finanzmarktexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: “Die Formel ist aus einer Theorie heraus geboren, die in der Finanzwirtschaft erst kurz eine Rolle spielt und deren theoretische und empirische Basis noch dünn ist. Es muss sich erst einmal zeigen, dass die Effekte tatsächlich so eintreten.”


Quelle: www.sueddeutsche.de


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