Neurofinanz: Unser Gehirn ist nicht für Geldanlagen geschaffen

Frühmenschen der Gattung Homo könnten nach einer neuen Analyse schon vor 2,8 Millionen Jahren gelebt haben. Die wenigste Zeit davon gab es wohl Geldanlagen. Unser Gehirn ist von der Evolution also keineswegs dafür geschaffen, Geld anzulegen. Seit geraumer Zeit wird in dem Spezialgebiet Neurofinanz interdisziplinär untersucht, wie wir mit Finanzen umgehen, was uns die Evolution mit auf den Weg gegeben hat.

Über lange Zeit verstand sich der Mensch selbst als “Animal rationale” und stellte damit seine Rationalität in den Mittelpunkt. Doch schon im frühen 18. Jahrhundert bekam dieses Selbstbildnis Risse – der schottische Philosoph David Hume meinte schlicht:

“Die Vernunft ist nur Sklavin der Leidenschaften.” Wie auch immer, der Mensch ist durch und durch ein Gefühlswesen. Für eine erfolgreiche Anlage ist es daher wichtig zu wissen, wo und wie einem die eigenen Gefühle ein Schnippchen schlagen können.

Überlässt man das eigene “archaische Gehirn” diesen Jahrtausende alten Mechanismen, dann kommt man leicht auf verlustreiche Abwege. Warum das so ist untersucht das Gebiet der Neurofinanz. In diesem Bereich arbeiten Wissenschaftler aus Verhaltensökonomie, Hirnforschung und Psychologie zusammen.

Gewinn = Glück | Verlust = Schmerz

Davon hat wohl jeder schon mal gehört: Großhirn, Kleinhirn, Amygdala und mehr – das Gehirn hat viele Areale. Ein eigenes Areal für Geld ist allerdings nicht dabei. Es finden sich Zentren für die Verarbeitung von Furcht, Zorn, Freude, Trauer, Vertrauen, Überraschung oder Neugier.

Der sogenannte präfrontale Cortex, der verstandesmäßige Überlegen und das Regulieren der Gefühle zuständig ist, ist jedoch bei den Prozessen, die Prozessen, die zu Finanz-Entscheidungen führen nur unmaßgeblich beteiligt, erläutern die Wissenschaftler. Bei den Finanz-Entscheidungen ist viel stärker das limbische System aktiv. Das ist eigentlich das Verarbeitungszentrum für Triebhaftigkeit und Gefühl …  Was passiert da?

Gewinn und Verlust werden unmittelbar übersetzt in Glück und Schmerz. Im Prinzip kennt das Gehirn keinen Unterschied zwischen Armbruch und Verlustgeschäft: Schmerz ist Schmerz. Uralte Strategien werden dann aktiviert: Angriff- oder Fluchtreflexe übernehmen die Kontrolle. Nüchternes Abwägen kommt dabei oft zu kurz.

“Gier frisst Hirn”

Die Stärke und Art der Gefühle führt dann zu ganz verschiedenen Handlungsschemata so die Neurofinanz-Forscher. Ist der Verlust nicht bedrohlich, folgen Frustration und Ärger. Das uralte Programm „Kampf“ führt bereits zu einem erbosten Anruf beim Anlageberater – und der Titel wird aus Wut verkauft. Das Schema „Flucht“ führt zum Abwiegeln: Mal bergauf, mal bergab; am besten gar nicht hinsehen.

Werden die Verluste bedrohlicher, ja existenziell, wird das Stresshormon Cortisol produziert. Dann schaltet sich der Panik-Modus ein. Aber auch positive Gefühle können den Verstand trüben, dann heißt es oft “Gier frisst Hirn!” Bei einem Gewinn will das Hirn den Gewinn und zwar sofort: hier und jetzt. Das Belohnungszentrum Nucleus accumbens wird gestartet, und der Verkauf des High-Flyers ist oft die Folge.

Unser entwicklungsgeschichtlich altes Gehirn ist mit der Komplexität von Anlagen oft überfordert – sagen viele Neurofinanz-Forscher. Und zwar wenn nicht der Verstand regiert, sondern allein der Bauch.


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